Wirksame Kommunikation – mit Konzept: Neues Fachbuch zur Konzeptionsplanung erschienen

Die Kommunikationsaufgaben von Unternehmen und Institutionen werden immer komplexer, neue Disziplinen und Instrumente entstehen. Gleichzeitig steigt die Kommunikationsflut in unserer Mediengesellschaft rasant. Wer heute nicht präzise und einfühlsam kommuniziert, verliert.

Vor diesem Hintergrund gewinnt das Kommunikationskonzept immer mehr Tragweite. „Wirksame Kommunikation – mit Konzept“ haben wir beiden Autoren, Klaus Schmidbauer und Oliver Jorzik, als erstes umfassendes Handbuch der strategischen Kommunikationsplanung im deutschen Buchhandel entwickelt. Auf mehr als 600 Seiten führt es durch alle Phasen der Kommunikationskonzeption und zeigt die Methoden, Werkzeuge und Regeln zeitgemäßer Konzeptionsarbeit. Wir haben bei dem Buch versucht, konsequent unsere Praktikerperspektive mit einem systematischen Methodeneinsatz zu verknüpfen. Das Buch verzichtet daher auf eine umständliche, verwissenschaftliche Sprache und es arbeitet mit vielen Beispielen aus unserer beruflichen Tätigkeit.

Einsteiger sind genauso angesprochen wie erfahrene Kommunikationsprofis. Großen Wert legen wir darauf, dass auch Unternehmen und Institutionen mit kleiner Kommunikationsabteilung und überschaubarem Etat mit der Konzeptionsmethodik
arbeiten können. Gleichzeitig sprechen wir die Studierenden der vielen Kommunikationsstudiengänge und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fachspezifischer Weiterbildungskurse an. Wer Hilfestellung für seine Seminararbeit oder Thesis sucht, findet in „Wirksame Kommunikation – mit Konzept“ alles, was notwendig ist. Viele wollen nach ihrem Studium ihre Karriere in einer Kommunikationsagentur oder einem Unternehmen starten. Wer konzeptionssicher in diesen Prozess geht, hat eine höhere Entscheidungssicherheit und erzeugt schon früh im Berufsleben ein besseres Ergebnis.

Das Buch funktioniert auf zwei Ebenen. Wer die nötige Starthilfe sucht, um in
die Konzeptionsarbeit einzusteigen, bekommt einen umfassenden Leitfaden.
Wer schon in der Konzeptionspraxis steht und deshalb selektiv an das Thema
herangeht, findet im Buch viel methodische Vertiefung und Detailwissen aus
der Konzeptionspraxis. Gestandene Praktikerinnen und Praktiker können ihr
vorhandenes Wissen auffrischen und neue Impulse sammeln.

9783933689160
Klaus Schmidbauer und Oliver Jorzik
Wirksame Kommunikation – mit Konzept
Ein Handbuch für Praxis und Studium
Talpa-Verlag Potsdam
ISBN 978-3-933689-16-0
Mai 2017
620 Seiten
Hardcover
36 Euro

Tesla: PR auf Autopilot gestellt, leider nur in der Beta-Version

Joshua Brown aus Florida war ein großer Tesla-Fan. Und er zeigte seinen Stolz als Tesla-Fahrer auf Youtube. Der sogenannte Autopilot ist eingeschaltet. Wir sehen: Joshua Brown lacht in die Kamera. Die Hände sind nicht am Steuer. Der Wagen braust toll über die Straße, wie von Geisterhand gelenkt. Der 40-jährige Joshua Brown hätte sich in diesem Moment nicht träumen lassen, dass er weltweit der erste Mensch sein wird, der beim Fahren mit Autopilot sein Leben lassen wird. Das System erkannte einen kreuzenden Truck nicht. Der Tesla S fuhr mit voller Geschwindigkeit unter den Auflieger. Das Dach wurde abrasiert, mehr will man nicht wissen. Tesla bedauerte in einem offiziellen Statement seine Bestürzung über den tragischen Unfall und sprach der Familie sein professionelles Beileid aus. Hier hatte der kommunikative Autopilot noch funktioniert.

Das Unfallopfer Joshua Brown hält seine Ausfahrt mit Tesla-Autopiloten per Kamera fest.

Tesla-Chef Elon Musk reagierte deutlich kühler. Laut Medienberichteten bezeichnete er gegenüber Journalisten den Unfall als „statistische Normalität“. Das ist vom logischen Standpunkt her nicht falsch. Aus Sicht der Kommunikation verwundert die Vorwärtsverteidigung des sonst so versierten Tesla-Chefs, der üblicherweise keine PR-Chance auslässt, um sich und sein innovatives Unternehmen zu feiern. Statistiken, Fakten und komplexe Zusammenhänge zählen kaum noch, wie das aktuelle Beispiel Brexit zeigt. Das Publikum erwartet einfache Botschaften, Kommunikation muss emotional überzeugen, auch wenn die juristischen Folgen sehr risikoreich sind.

Tesla bewirbt seinen Autopiloten aktuell damit, dass er die „Lenkarbeit reduziert“ und den Straßenverkehr „mühelos“ bewältigt. Der Fahrer muss jederzeit bereit sein, „das Steuer zu übernehmen“, auch wenn er die Hände gerade nicht am Steuer hat. Der Autopilot kann das in den Unfall verwickelte Model S „mithilfe einer Kombination von Kameras, Radar, Ultraschallsensoren und Navigationsdaten automatisch über die Autobahn steuern“. Kann er das alles wirklich? Die Zweifel wachsen und die ersten Sammelklagen werden in den USA gerade vorbereitet. Auf den juristischen Fall – ein System das nicht alles erkennt, aber laut Musk „keine „Betaversion“ mehr darstellt, sondern ein vollständiges Produkt ist – trifft zusätzlich erschwerend noch ein semantisches Problem. Ein marketingmäßig fein eingesetzter Begriff wie „Autopilot“ stimmt nicht, wenn der Fahrer trotzdem aufpassen muss, wie ein Luchs und jederzeit in höchster Alarmbereitschaft sein muss. Flugzeuge fliegen mit Autopilot von A nach B. Das hat der Flugreisende in vielen Jahren gelernt. Das Vertrauen, dass der dem System beim Fliegen entgegenbringt, überträgt er nun auf die Straße. Doch hier ist die Situation eine ganz andere, wenn der Autopilot in Wahrheit keiner ist, sondern lediglich ein optimiertes Fahrassistenzsystem.

Aber das ist die juristische Seite, die noch für viele Diskussionen sorgen wird. Erstaunlich ist momentan, dass auch die Kommunikation hinsichtlich Professionalität von Tesla nicht wie ein ausgereifter Autopilot wirkt, sondern eher wie ein äußerst fehlerbehaftetes Beta-System. Mitleid, Verständnis, Empathie, aber auch Transparenz und Aufklärung sind in Krisensituationen feste Orientierungsanker de Kommunikation. Sind Leib und Leben gefährdet, muss der CEO gegenüber Kunden, Medien und Investoren diese Werte glaubwürdig verkörpern.

Besserwisserei funktioniert leider gar nicht. Fakten kommen erst dann wieder zum Tragen, wenn die erste, zweite und dritte Bugwelle der Empörung und Irritation über das Kommunikationsobjekt hinweggeschwappt ist. Das bedeutet, in der Krise aktiv Verantwortung zu übernehmen: für die vielen Tesla-Fahrer die bereits unterwegs sind; die anderen Verkehrsteilnehmer, denen ein Tesla auf den Straßen begegnet; und nicht zuletzt gegenüber dem Opfer Joshua Brown und seiner Familie. Diese Aufgabe liegt bei Elon Musk persönlich, auch wenn es möglicherweise nicht in das eigene Selbstbild oder das erlernte Verkaufsverhalten dieses bisher hervorragenden Präsentators passt.

Es verwundert, dass eine internationale Megamarke wie Tesla auf so eine Situation nicht vorbereitet ist und plötzlich eher wie eine schlecht geführte Kleinstfirma wirkt, bei der der Chef immer Recht hat, ob die Situation das hergibt oder nicht. Investoren ist im Rahmen ihres Risk Managaments zu empfehlen, hier genauer hinzuschauen. Wie ist das Unternehmen auf Krisensituationen vorbereitet? Welche Szenarien könnten eintreten? Wie will sich das Unternehmen in dem jeweiligen Fall auch kommunikativ verhalten? Ist der CEO bereit, sich an diese Regeln zu halten? Ist das Unternehmen lernfähig? Was wird es ändern? Das Beispiel Tesla zeigt leider auf tragische Weise, dass hier enorme Gefährdungen lauern. Joshua Brown wird das nicht helfen. Aber vielleicht den knapp 400.000 Kundinnen und Kunden, die das neue Model 3 bereits vorbestellt haben – mit dem nun berühmt-berüchtigten „Autopiloten“.

Der Kunde in der Abwehrschlacht

Mehr als 10.000 Werbeimpulse prasseln pro Tag auf den Menschen ein. Eine unfassbar hohe Zahl. Glücklicherweise reagieren wir zunehmend mit Verweigerung auf diesen gigantischen Information-Overload. Zu unserer Rettung setzt die Reaktanz automatisch ein. Das Gehirn ist eine gute Sortiermaschine, die selbstständig funktioniert. Wenn wir uns jedes Mal bewusst zur Verweigerung entscheiden müssten, der Mensch würde schon nach ein paar Tagen dem Wahnsinn verfallen. Beim medialen Input klappt es halbwegs gut mit der Verdrängung. Anders im persönlichen Verkauf. Dort werden wir richtig gefordert.

Will man an einer Tankstelle bezahlen, bekommt man die obligatorische Frage gestellt: „Möchten Sie noch einen Kaffee dazu – oder was zu essen?“ Jetzt geht es nicht mehr automatisch mit der Reaktanz. Nun muss ich bewusst ablehnen: „Nein“, „Nein Danke“, „Gerade nicht“ gehören dabei zu meinem Standard-Antwortrepertoire. „Alles gut“ verwende ich momentan besonders gerne. Irgendeine Verkaufsschulung hat den Mitarbeitern bei meiner Haustankstelle eingebläut, sie müssten den aktiven Kundendialog suchen. Der Kunde darf den Laden nicht verlassen, ohne dreimal persönlichen Kontakt mit den Mitarbeitern zu haben, nur so würde Kundenbindung entstehen. Die Anweisung kommt direkt vom Chef, die armen Angestellten müssen unter seiner kritischen Beobachtung exekutieren. Daher die vielen Fragen beim Bezahlen. Der Kundendialog als liebloses Frage-Antwort-Spiel, das eher einem Verhör gleicht, denn einem Gespräch.

Nach dem Tanken geht es zu Edeka. Der Wocheneinkauf steht an. Dort klappt es im Verkaufsraum mit der direkten Kundenansprache auch nicht so gut. Die Verkäufer sind vollauf mit der Regalpflege beschäftigt. Wie bei der Tankstelle kommt die geballte Kundenfragerunde an der Kasse: „Waren Sie zufrieden, haben Sie alles bekommen?“, „Haben Sie eine Deutschland-Card“, „Sammeln Sie Treuepunkte?“, „Brauchen Sie einen Beleg?“, „Wollen Sie mit Karte zahlen oder bar?“ – die Endlosaneinanderreihung an Fragen zwingt mich in den Dialog. Schon wieder muss ich mich verhalten, man ist ja auf Höflichkeit getrimmt. Einmal „Ja“, viermal „Nein“. Mit einem starken Nein-Eindruck verlasse ich den Laden. War das im Sinne des Erfinders? Sollte ich nicht positiv gestimmt werden? War dies das versprochene Einkaufserlebnis, das mich zum Treuekunden machen sollte?

Mörderattacke „Kann ich Ihnen helfen?“

Jetzt noch schnell zu OBI. Es wird anstrengend, ich fühle mich schon leicht geschwächt. Dort erwartet mich Welcome-Kultur pur. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen bereits Spalier. Weiter geht das Dauerpushen. Ich habe gezählt: Wenn es hart auf hart kommt, sage ich im Baumarkt fünfmal „Guten Tag“, erzwungen von den dortigen Verkaufsstrategen. Jeder Mitarbeiter muss grüßen. Das sind schon fast nordkoreanische Verhältnisse. Dabei würde einmal Begrüßung am Eingang reichen. Hinzu kommt noch das freundlich gemeinte „Kann ich Ihnen helfen?“, das spätestens dann ertönt, wenn man länger als 10 Sekunden an einem Fleck steht. Oder nachdenklich schaut, weil man vielleicht kurz mal überlegen muss. Spätestens nach dem dritten Mal wird das Hilfsangebot nur noch anstrengend.

Mittlerweile habe ich es zur Kunst erhoben, mich halbwegs kontaktfrei durchzuwinden. Gäbe es bei OBI eine Tarnkappe zu kaufen, ich hätte sie bereits. Nach dem unfreiwilligen Schlangenparcours ist der Weg ins Schraubenregal gefunden, Reihe 23. Dort erwarten mich zwei Werbemonitore, auf denen lautstark Promotion-Videos abgespult werden. Haben Sie gemerkt, dass die Geräte immer auf volle Lautstärke eingestellt sind? Welches System steckt dahinter? Es quäkt aus drittklassigen Lautsprechern, im Hintergrund dudelt das Instore Radio. Da ich mich konzentrieren muss, ziehe ich erstmal den Stecker aus dem nächstliegenden Monitor und endlich kehrt etwas Ruhe ein, hoffe ich. Falsch gedacht. Da sind ja noch die Screens nebenan aus Regalreihe 24, die unerreichbar weiterblöken.

Jetzt setzt der Fluchtimpuls ein, bitte nur noch raus hier und zwar möglichst schnell. Die unvergleichliche Customer Journey möge bitte, bitte enden. Doch nur wie? Ich habe ja noch nicht alles beisammen. Wie wäre es mit einer Rollenumkehr? Ein Versuch ist es wert. Ich stürze mich auf den Verkäufer. „Können Sie mir helfen?“, „Was empfehlen Sie mir?“ – und siehe da: Es funktioniert! Anstatt mich selbst mühselig zu orientieren, nutze ich den Verkäufer voll aus. Gemeinsam durchstreifen wir die Regalschluchten. Und es geht erstaunlich zielgerichtet voran. Denn auch der Verkäufer hat nur ein bestimmtes Zeitkontingent für mich zur Verfügung und darf nicht stundenlang mit mir vorm Regal stehen. Was zählt, ist die Frequenz, schließlich gibt es noch andere Kunden. Das Ding klappt. Meine Einkaufszeit reduziert sich um gefühlte 50 Prozent. Ich habe das, was ich brauche ohne langes Suchen erhalten. Erleichtert und dankbar verlasse ich den Baumarkt. Geschafft, überlebt, endlich ab nach Hause.

Marketer alter Prägung haben das Sagen – leider

Nach meinen vielen Einkaufstouren habe ich mühsam lernen müssen: Man zahlt jenseits des Einkaufswerts einen zusätzlichen Preis, sobald man einen Laden betritt. Und ich zahle in der hart gehandelten Währung „Aufmerksamkeit“. Aber habe eine Taktik des Umgehens gefunden, die halbwegs klappt: Ich hole mir alles zurück, indem ich mich penetrant beraten lasse. So komme ich schneller zu meinem gewünschten Produkt und bin schneller wieder aus dem Laden raus. Noch dazu mit einem besseren Ergebnis.

Ist das von den Marketing-Strategen tatsächlich so gewollt? Ich dachte immer, sie wünschen sich mit ihren PoS-Aktivitäten eine möglichst hohe „Stopping-Power“. Der Kunde soll stehenbleiben und sich mit den Produkten beschäftigten. Die Verweildauer soll gesteigert werden. Aber durch das Dauerbombardement ist das Gegenteil der Fall. Der Kunde wird vertrieben und in einer permanenten Abwehrschlacht zerrieben. Weniger Push, mehr Dosierung, das wäre schön.

Rund 70 Prozent aller Kaufentscheidungen werden am Point of Sale getroffen. Aber nur 1 Prozent aller Marketing-Anstrengungen landen hier. Ein krasses Missverhältnis. Die Marketing-Strategen beschäftigen sich viel mit den Kunden. Aber in der Betreuung vor Ort gibt es deutlich Luft nach oben. Durch die ausgelutschten Ansprechphrasen, die verwendet werden, entsteht ein persönlicher Kontakt, der erstaunlich unkreativ ist. Wird den Mitarbeitern zu wenig zugetraut, dass man sie in das hölzerne Phrasenkorsett zwingt? Muss wirklich aus normalen Menschen aufdringliche Staubsaubervertreter gemacht werden? Und mal ehrlich, welcher Kunde will ständig angesprungen werden? Ich jedenfalls nicht.

Eigentlich wünsche ich mir einen „Personal Shopping Assistant“, der sich nicht aufdrängt. Der aber da ist, wenn man ihn braucht. Der fachkundig und neutral berät. Dessen Empfehlungen man getrost vertrauen kann. Wenn jedoch in manchen Märkten nur noch 30 Prozent des Personals vom Haus gestellt werden und 70 Prozent von den Herstellern bezahlte Promotoren sind, habe ich meine Zweifel. Unabhängige Beratung ist da ausgeschlossen. Die Frage der Verkaufsprovisionen bei der Kernbelegschaft ist dabei noch gar nicht berührt. Drückerkolonnen am PoS unterwegs? Nein, denken wir nicht das schlimmste. Seien wir positiv.

Meinen kleinen Ausnutzungstrick bei OBI habe ich übrigens schon mehrfach getestet und gute Erfahrungen gemacht. Ob Malerkrepp, Pinselempfehlung oder Farbberatung – alle von mir nachgefragten Produkte waren Volltreffer und haben super funktioniert. Vorher habe ich regelmäßig Schrott gekauft, weil ich ehrlich gesagt wenig bis gar keine Ahnung habe. Profis wissen, was Qualität ist, Laien jedoch nicht. Ich bin ein bekennender DIY, der jedoch ziemlich ahnungslos durch die Märkte irrt. Daher brauche ich besonders gute Hilfe. Wenn ich nun nicht mehr bei jedem Besuch den Grüßonkel spielen müsste und deutlich weniger Geräuschkulisse hätte, wäre ich eigentlich recht zufrieden mit meinem Heim-Baumarkt. Die Mitarbeiter würde das wahrscheinlich ebenfalls freuen. Und es würde sie deutlich entlasten. Sie könnten sich viel stärker auf die individuelle Beratung konzentrieren. Es käme allen zugute und letztlich vor allem denen, auf die es ankommt: den Kunden.

Die Penetrationsmarketer der alten Schule haben das noch nicht verstanden. Ihrer Meinung nach müssen Einkaufserlebnisse knallen, damit sie wirken. Sie haben gelernt: Viel hilft viel. Aber wenn alle knallen, wird es unerträglich. Dann ist Krieg am PoS. Handel und Hersteller sind auf Angriff gepolt, der Kunde wird zur Abwehr gezwungen. Es ist es höchste Zeit, neu zu denken. Sonst verlagert sich der Einkaufsspaß noch schneller ins Internet. Denn dort muss ich keine überflüssigen Fragen beantworten. Dort hat der Kunde eher das Problem des Dauerbefehlstons à la „Anmelden“, „Jetzt registrieren“, „Hier klicken“, „Jetzt zahlen“, „Nutzungserklärung zustimmen“. Bei vielen Nutzern löst das Trotzreaktion und Negativgefühle aus. Aber das ist ein anderes Thema.

Thermomix: Erfolgreiches Geschäft mit dem Kult

Ich habe mich mal selbst befragt: Welches Produkt aus Deutschland kenne ich, das einen echten Kult-Status hat? Nun, als Mann fällt mir sofort der Porsche 911 ein. Unbestritten ein klassisches Kultprodukt für grau melierte Männer jenseits der 50. Afri Cola? Könnte gerade eben noch so durchgehen. Bionade? Interessante Gründerstory. David gegen Goliath, wir gegen Coca-Cola, das zog gut. Und dann wurde ziemlich viel getan, den erworbenen Kultstatus wieder zu verlieren. Heute eher langweilig und verbraucht, würde ich sagen. Im Kunstbereich gibt es auch ein paar echte globale Marken mit Kultverdacht: Kraftwerk gehören dazu. Gerhard Richter mit seinen Werken vielleicht noch. Es gibt auch einen Wagner-Kult. Objekte der Begierde sind also durchaus da, denen man das Etikett „Made in Germany“ verpassen kann.

Und nun ein Gerät, das ich zwar nicht besitze. Meine Frau sagt gelangweilt, „braucht kein Mensch“. Aber ich spüre ein leichtes Begehren, ich gebe es zu. Die Rede ist vom Thermomix aus dem Hause Vorwerk. 1,4 Mrd. Euro Umsatz für die Wuppertaler Unternehmensgruppe. Allein vom jüngsten Modell, dem TM5, wurden bereits 2 Millionen Stück verkauft. Eine beeindruckende Story, die ich seit etwa vier bis fünf Jahren beobachte. Die Fangemeinde wächst rasant. Es gibt lustige private Kochrunden mit Erlebnis-Chichi und regionale Schwerpunkt-Kochstudios als TM-Treffpunkte. Social Media ist ganz wichtig, überhaupt das Community-Building. In den USA sind für den geplanten Markteintritt sogar Koch-Events via Skype geplant. Ein ausgeklügeltes Vertriebssystem kommt in bewährter Vorwerk-Manier hinzu, das die Geräte von Hausfrau zu Hausfrau weiterreicht. Es gibt ein riesiges Digital-Kochbuch mit mehr als 50.000 Rezepten. Das reicht für zwei Leben. Und natürlich serviert Vorwerk den ganzen Kochspaß noch als obligatorische App inklusive Einkaufsliste und Wochenplaner für unterwegs.

Künftig können mit dem Gerät sogar online Lebensmittel geordert werden. Ein eigenes Kundenmagazin kommt hinzu. Mehr Kochen und Essen geht nicht. Der Kochverantwortliche der Familie muss überhaupt nicht mehr das heimische Küchenstudio verlassen, sondern kann sich mit voller Hingabe dem Thermomix und der Speisenzubereitung hingeben. Bei so viel Konkurrenz werden wieder einige Landgasthöfe über den Jordan gehen.

Da ich gern und häufig koche und auch eine gewisse Technikaffinität nicht verbergen kann, gibt es eine natürliche Nähe zu Thermomix. Im vergangenen Winter habe ich mir das Gerät mal aus der Nähe angeschaut. Meine Frau sagte „oberhässlich.“ Etwas drastisch vielleicht, aber ich gebe zu, designpreisverdächtig erscheint es mir auch nicht. Ein etwas unförmiges halbes Plastikei, ziemlich postmodern, mit vielen mehr oder weniger nützlichen Accessoires zum Draufstecken, die aber auch nicht besonders formschön sind. Warum das Gerät einen Red-Dot-Award gewonnen hat, weiß ich nicht. Vielleicht macht Erfolg tatsächlich sexy. Ein Qualitätsprodukt stelle ich mir jedoch irgendwie wertiger vor. Und im anschließenden Auswertungsgespräch musste ich leicht mürrisch zugeben, dass ich schon etwas enttäuscht war, als das Teil so vor mir stand. Eine KitchenAid hat da schon mehr Design- und Material-Wumms. Einige wichtige Testbewertungen wie die von Sitftung Warentest fielen eher mäßig aus. Mal ist das Gerät deutlich zu laut. Ein BILD-Test aus dem vergangenen Jahr moniert Schwächen beim Möhrenraspeln und Gurkenschneiden. Das darf bei einer Maschine, die deutlich über der 1.000-Euro-Marke liegt, eigentlich nicht sein. Hier erwarte ich schon eine gute Leistung in allen Disziplinen.

 

Die Zukunft des Kochens ist digital. Klingt absurd? Nicht, wenn es nach der Vision von Vorwerk geht.

Umso größer wurde die Verwunderung ob es des globalen Erfolgs des Thermomix. Woher kommt der Hype? Aus Australien dringen Krisenmeldungen, dass sich etliche Leute zum Teil gefährlich verbrannt und verbrüht haben. In Neuseeland prangert eine Zeitung an, dass die Vertriebsleute vom Thermomix-Verkauf überhaupt nicht leben könnten, da sie auf allen Kosten für die Live-Events sitzen bleiben würden. Es gibt Kritik an Thermomix, eine ungewohnte Situation für die erfolgsverwöhnten Wuppertaler.

Aber am Gerät scheint diese Kritik komplett abzuperlen. Der Kultstatus schafft einen unsichtbaren Schutzmantel. Die Vision von Vorwerk geht sogar so weit, dass in Zukunft die klassische Küche zu einer aussterbenden Gattung deklariert wird. Du brauchst nur noch eine Maschine in einer Mini-Kochnische, das reicht. Und diese neue Kochzukunft heißt natürlich Thermomix. Zur Not kann sogar die Kochnische wegfallen. Das Ding funktioniert auf jeder Abstellfläche. Perfekt für kleine Wohnungen in urbanen Zentren. Aber zurück zur eigentlichen Frage? Was macht Thermomix so einzigartig, dass es zu einer Kultmaschine geworden ist. Andere Hersteller mit ebenfalls großer Tradition bauen schönere und zum Teil auch bessere Maschinen. Aber keine hat einen derartigen Erfolg. Ich sehe 10 Gründe:

  1. Einzigartiges Vertriebssystem: Die Verkaufsrepräsentanten beginnen mit dem Verkauf im Freundeskreis. Das sorgt für Glaubwürdigkeit durch persönliche Nähe. Ein Gerät, das von einer guten Freundin oder Bekannten empfohlen wird, besitzt automatisch eine höhere Wertigkeit. Vorgetestet, für gut befunden, will ich auch. Ein schöner einfacher Dreiklang.
  2. Exklusivität: Der Vorführ- und Verkaufsakt vollzieht sich in angenehmer geselliger Atmosphäre. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Das nutzt das Vertriebssystem voll aus. Man wird zur privaten Verkaufsshow eingeladen. Das ist schon etwas ganz Besonderes. Und das Gerät wird live, individuell und nur für dich in der Anwendung gezeigt. Das schafft kein Elektronik-Markt. Und du kannst das Ergebnis schmecken. Welches Produkt schafft das schon?
  3. Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe: Schon bei der ersten Live-Vorführung wird klar: Du bist Teil einer großartigen sozialen Gruppe, der Gemeinschaft der Thermomix-Besitzer. Die Peer-Group teilt die kleinen Freuden und Leiden des Alltags. Mutti muss als oberste Familienmanagerin unter immensem Zeitpunkt mal wieder die Essenswelt zuhause retten? Und nebenbei noch berufliche Mails und Hausaufgaben der Kinder checken? Keine Sorge, den anderen geht es genauso. Mit den richtigen Rezepten und Optimierungserfahrungen aus der Gruppe heraus wird die Bewältigung des stressigen Versorgungsalltags zur problemfreien Zone.
  4. Kochen für Faule: In den guten alten Zeiten des Kochens musste man – oder besser frau – sich noch mit Waren und den Fertigkeiten des Kochens auseinandersetzen. Was braucht wie lange? Wie reagiert Paprika im Verhältnis zur Kartoffel, wenn gekocht wird. Wann muss was rein in die Pfanne? Mit Thermomix wirken diese Fragen seltsam antiquiert. Programm eingestellt, Knöpfchen gedrückt und fertig ist das Drei-Komponenten-Essen. Die Lösung heißt Guided Cooking. Schritt für Schritt unter Anleitung zur vollwertigen Mahlzeit für die ganze Familie. Verlässlich in angemessen guter Qualität, wenn man den Kommentaren glaubt. Intelligentes Kochen für Faule. Super, wenn man keine Zeit hat. Und man hat das gute Gefühl, dass es im Vergleich zur Fertignahrung noch halbwegs gesund ist. Vielleicht nicht besonders kreativ, aber besser als die obligatorische Tiefkühlpizza. Wir wissen es nicht, möglicherweise emanzipiert Thermomix die Frauen vom Kochen, ähnlich wie die Waschmaschine von der ehemals mühseligen Handwäsche? Die Langzeitwirkungen sind noch nicht absehbar.
  5. Statussymbol: Der Thermomix ist der würdige Nachfolger des iPhones. Der Besitz eines teuren Premium-Produkts schafft Distinktion, macht Haltung und Anspruch sichtbar. Die Besitzer wollen stolz zeigen, was sie haben. Dass sie es geschafft haben. Wer einen Thermomix besitzt, hat die Grenze zur Armut deutlich überschritten und ist fest in der wohlhabenden Mittelschicht verankert. Ein tolles Gefühl der Sicherheit, das davon ausgeht. Der Erwerb verschafft Prestige. Und der der Besitz einer Kochmaschine ist wichtiger als die Originalität des Essens.
  6. Trendthema Kochen: Die Welt wird überschüttet mit Kochbüchern und Kochsendungen. Das Thema greift in alles Lebensbereiche ein. Wer da nicht mitzieht, ist sozial schnell abgestempelt. Mit dem Alleskönner dürfen sich auch Ungeübte und talentfreie Köchinnen und Köche trauen. Mit passablem Ergebnis. Genuss wird mit Effizienz kombiniert. Das passt gut in unsere schnelllebige Zeit.
  7. Intelligente Kommunikation: Man muss neidlos anerkennen. Vorwerk macht das richtig gut. Facebook und Youtube werden voll bespielt. Persönlicher Verkauf kombiniert mit einer starken Online-Community, eine wirklich zugkräftige Verbindung aus on- und offline. Man braucht nicht das beste Produkt, es reicht die beste Community zu haben. Und da ist Vorwerk einfach weit vorne. Online gibt es das Rezept des Tages. Da können sich Sonja24, Neti77 und Nina1985 bei Zimtschnecken, Hähnchenbrust „Toscana – All in one“ oder „Italienisch Antipasti als Varoma-Gemüse“ austoben. Es gibt Sternchen von der Community oder auch nicht. Ist eigentlich egal. Hauptsache, man ist dabei. Und die ganz tollen Rezepte kann man kommentieren, der eigenen Kochsammlung von Lieblingsgerichten beifügen oder weiter versenden. Nicht viel anders als bei anderen etablierten Kochportalen auch. Aber es ist eben alles vorhanden, was die User kennen und schätzen.
  8. Monothematische Ausrichtung: Wer sich mit Thermomix beschäftigt, wird in eine monothematische Welt hineingezogen, die variantenreich erzählt wird. Das goldene Kalb will umtanzt sein. Und es darf in keinem Augenblick vergessen werden, was da umtanzt wird. Das macht den Kult von heute aus. Ein Produkt zu haben, an dem ich mich je nach Wunsch vollständig abarbeiten, das Optimale rausholen und maximalen Output erzeugen kann. Ein echtes Rib-Eye-Steak geht zwar ohne die altbekannte Pfanne nicht. Das heißt, ich muss gegebenenfalls das System verlassen, wenn ich das Essen will, nach dem mir ist. Aber ich kann auch komplett im System drinbleiben und mich voll der Maschine hingeben. Bis zum Anschlag ausreizen, das kann richtig Kick bringen. Kreativ werden, Rezept teilen, mit Sternchen und Kommentaren belohnt werden. Dieser Kick ist wichtig für kultische Erfahrung. Die beste Thermomix-Spaghetti-Bolognese-Soße? Wer das kreiert, ist ein Star, zumindest in der großen Welt der Marke TM. Individualität durch Anpassung und Verfremdung. Essenszubereitung als Open Source. Jeder kann zum Essensentwickler werden. Eine interessante Verbindung.
  9. Polarisierung: Am Thermomix scheiden sich die Geister. Die einen lieben ihn, die anderen hassen den Küchenhelfer. Liebe und Hass schweißen zusammen. Auch das ist eine wichtige Kulterfahrung. Identifikation und Abgrenzung. Wer sein Gerät und dessen Erwerb leidenschaftlich verteidigt ist schon selber Teil der erworbenen Technik geworden. Kult beginnt mit Überhöhung. Und wer im Thermomix mehr sieht als in Vergleichsgeräten, die unter Umständen sogar besser sind, hat getan, was im Sinne des Kultes gewünscht ist: Die vollständige Hingabe zelebrieren.
  10. Zukunftspotenzial: Eine gute Story braucht einen starken Anfang und eine spannende Erfolgskurve, bei der vielleicht auch das eine oder andere Hindernis bewältigt wurde. Und sie braucht eine Zukunftsperspektive, die Phantasie weckt. Die Abschaffung der Küche, wie wir sie kennen, ist eine Revolution. Die vollständige Integration einer Küchenmaschine in das Netz, ist absolut zukunftsfähig. Das stetige Wachsen der Community sorgt für dauerhaften Input. Auch wenn nicht alles gleich gut schmeckt, und manches auch gar nicht – vielleicht gibt es das eine Rezept, das der absolute Hammer ist. Das reicht als Belohnung. Eine unendliche Entdeckungsreise in einer wachsenden Gemeinschaft – das klingt wirklich anschlussfähig an die Zukunft. Ich sehe hier übrigens gerade im Online-Kochbuch ein TM-Rezept für selbstgemachte Leberwurst aus Schwarzwildleber. Tolle Idee! Das koche ich nach, ohne Thermomix selbstverständlich. So schwer ist es nun auch wieder nicht. Aber Idee super. Der Besuch auf dem Wuppertaler Server hat sich schon gelohnt.

Wohin wandert die Unternehmenskommunikation?

Weniger als die Hälfte der großen Unternehmen in Deutschland verfügen über eine schriftlich festgehaltene Kommunikationsstrategie. Und es kommt noch schlimmer: Wenn man sich die Kommunikationskonzepte aus der Nähe betrachtet, kommen viele über den Status von einfachen Planungspapieren kaum hinaus. Weniger als ein Fünftel der Bevölkerung halten Informationen und die Kommunikation von Unternehmen für glaubwürdig. Dementsprechend niedrig ist das Vertrauen und die Sympathie, die Firmen entgegengebracht wird. Bei der Kaufentscheidung spielen Unternehmensinformationen kaum eine Rolle.

Viele Studien wie die Com-X-Studie aus dem vergangenen Jahr liefern schlechte Werte für PR und Unternehmenskommunikation. Die Relevanz ist niedrig. Zwar kommen die Unternehmen ihrer Informationspflicht nach, die Verantwortlichen verwechseln aber ihren eigenen PR- und Marketingsprech mit dem Wunsch der Menschen nach sachlichen Informationen. Unklare Formulierungen, verklausulierte Sätze, die mehr verbergen als erhellen, komplizierte und wenig verständliche Fachsprache, das Fehlen zweiseitiger Argumentation – all das sind basale Fehler in der Kommunikation, die uns PR-Sprachkünstlern eigentlich nicht passieren dürfen. Aber sie sind Realität und diese von uns produzierte Wirklichkeit wird schlecht bewertet.

Ein Ratschlag, den Branchenexperten vor dem Hintergrund dieser Missstände immer wieder geben, lautet: Wir müssen die Unternehmenskommunikation stärker an den Unternehmenszielen und der Unternehmensstrategie ausrichten. Und die Unternehmenskommunikation muss eng in die Entscheidungsprozesse von Unternehmen integriert werden, so dass negative Folgen der Kommunikation schneller erkannt und verhindert werden können. Die Handlungsempfehlungen implizieren, dass die Kommunikation in Unternehmen oft eine Art Doppelleben führt. Wie ein Satellit umkreisen wir Kommunikationsleute das Unternehmen und die Übertragungsqualität ist eher schlecht. Wichtige Informationen aus dem Unternehmen an den Kommunikationssatelliten – und umgekehrt aus dem Orbit in das Unternehmen zurück –werden nicht zugestellt oder gehen im allgemeinen Rauschen unter.

Aber ist das wirklich so? Viele Entscheidungen, welche Inhalte von Unternehmensseite kommuniziert werden, treffen mittlerweile Rechtsabteilungen und das Risikomanagement. Negative Folgen für die Bewertung von Unternehmen, Image- und Reputationsschäden oder die Gefahr von Haftungsansprüchen stehen über der Kommunikation. Und die Unternehmenswächter senden ihre Einsprüche an die Kommunikation im Dauerloop. „Geht nicht, dürfen wir nicht, müssen wir anders sagen“, so oder ähnlich lauten die Direktiven. Heraus kommt eine Informationspolitik, die nur noch unter taktischen Gesichtspunkten stattfindet. Die Kommunikation ist eng eingebunden, wird aber als einseitiges Instrument der Verlautbarung gesehen. Wesentliche Inhalte, die zum Verständnis beitragen könnten, entfallen, werden umschrieben und landen bei den Empfängern nur noch in verwässerter Form. Heraus kommt Wischi-Waschi.

Es ist klar, dass solch ein taktisches Kommunikationsverständnis kaum Vertrauen erzeugen kann, denn das Gespür bei Medien und Rezipienten für Informationszurückhaltung oder Taktieren ist fein ausgeprägt. Viele Kommunikationsverantwortliche verlagern daher ihre Kommunikation auf Storytelling. Die Probleme auf der Sachebene sollen nun auf der Beziehungsebene gelöst werden. Das Wirwarr ist komplett. Rezipienten werden in eine Doube-Bind-Situation gezwungen. Sie erleben Unternehmen als paradoxe Gebilde, die auf der einen Seite positive Emotionen erzeugen bei gleichzeitiger Ablehnung wegen miserabler Informationspolitik. Nur wenige Marken und Unternehmen schaffen es, ihre Strahlkraft so zu nutzen, dass Negativwahrnehmung durch positives Image oder die Faszination einer Marke überlagert werden. Der Rest dümpelt vor sich hin und kommt aus der zwiespältigen Wahrnehmung durch das Publikum nicht heraus.

Also wäre es Zeit, den Reset-Knopf zu betätigen, noch einmal von vorne anzufangen und die sachliche Kommunikation genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Publikum ist anspruchsvoll geworden, hier hilft nur intensives Nacharbeiten. Denn die Forderungen und Signale sind eigentlich klar. Sie müssen nur angenommen werden. In der Fachöffentlichkeit ist oft die Rede davon, dass sich die Rolle der PR vom Verkünder zum Zuhörer verändert. Aber Zuhören allein reicht nicht. Es muss auch das zeitgemäß sein, was verkündet wird. Das heißt, sachlich top.

Diesel-Gate: Über Peinlichkeit in der Kommunikation

Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich recht ungeniert. Es wäre schön, wenn es so einfach funktionierte. Die deutsche Automobilindustrie hat ein kleines Problem. Die CO2-Werte ihrer Fahrzeuge stimmen nicht mit den Soll-Werten überein. Der Kunde muss fürs Tanken mehr bezahlen, als ausgewiesen. Der Stickoxid-Ausstoß der Diesel-Fahrzeuge ist auch nicht ok. Smarte Software-Lösungen und trickhafte „Thermofenster“ machen aus Dreckschleudern saubere „Blue Cars“. „Blue Motion“, „Blue Efficiency“, „Blue Tech“, die Produktnamen suggerieren Leichtigkeit und Lebensfreude. Diesel ist blau und blau steht für die Farbe des Firmaments, des Meeres, für Treue, Harmonie und Vertrauen. Angeblich ist Blau für 38 Prozent der Deutschen die Lieblingsfarbe. Und jetzt ist das geliebte Blau plötzlich schmutzig geworden. Nicht schön.

Lange hat die Marketing-Story rund um die schöne blaue Dieselwelt gezogen. Die Hälfte der Neuzulassungen in Deutschland sind Dieselfahrzeuge. Das Thema CO2, das auch die Benziner betrifft, rückt schon wieder in den Hintergrund. Der Kunde zuckt erschöpft die Schultern. „Machen alle? Dann kann ich als kleine Maus auch nichts mehr machen.“ Resignation und Verdrängung als Fluchtmodus sind die Folge. Hilfe von Seiten der Politik gibt es für Verbraucher kaum. Verkehrsministerium und Bundeskanzleramt geben der Industrie Rückendeckung so gut es geht, denn es stehen tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel. Eine jüngste Reihenuntersuchung im Auftrag des Verkehrsministeriums offenbart das ganze Elend. Jetzt wird zurückgerudert, beschwichtigt, abgewiegelt.

Es ist nur peinlich. Den Kunden wurde jahrelang etwas vorgegaukelt von einzigartiger deutscher Ingenieurskunst und nun die Katastrophe. Es wird auch nur mit Wasser gekocht und das Wasser schmeckt schal und abgestanden. „Das Auto“, werben die Wolfsburger und meinen das Auto an und für sich. Kant lässt grüßen, das Wesen und den Ursprung des Autos ist im Besitz von VW. Sehr weit aus dem Fenster gelehnt haben sie sich, umso größer ist die Peinlichkeit, dass es nicht stimmt. Peinlichkeit ist eigentlich kein Drama, denn Fettnäpfchen lauern überall. Ein Fleck auf dem Kleid, eine zerrissene Hose, Loch im Strumpf, man kennt das. Im Privaten reagiert man auf peinliche Situationen mit Schamesröte oder souveränem Ignorieren. Manche thematisieren die Peinlichkeit offensiv, dann kann es auch lustig werden. Manche versuchen hektisch die Peinlichkeit loszuwerden oder zu vertuschen. Das wird dann schnell noch peinlicher. Das ist genau das, was in der Autoindustrie momentan stattfindet. Das Instrumentarium, um Peinlichkeit zu begegnen ist facettenreich und bunt. Anbei fünf kleine Verhaltenstipps, die vielleicht nicht so gut funktionieren, obwohl sie momentan gern verwendet werden:

  1. Schweigen

Totstellen, nichts sagen, schweigen. Werden peinliche Vorwürfe laut, tut man erst einmal so, als ob nichts wäre. Das Problem wird verdrängt und ignoriert. VW hat diesen Weg angesichts der Untersuchungen in den USA versucht. Dadurch ging wertvolle Zeit verloren. Unter Umständen zieht das hohe Kosten nach sich, denn die Ad-hoc-Vorschriften sind einzuhalten. Wer das nicht tut, zahlt. Ignoranz und Vertuschung sind sehr peinlich, wenn es bekannt wird.

  1. Dementieren

Das Dementi ist der Klassiker, um Peinlichkeit zu begegnen. Auf eine Behauptung folgt eine Gegenbehauptung. „Ihr habt betrogen“, lautet der Vorwurf. Das Dementi folgt stante pede. „Nein, haben wir nicht!“ Die Peinlichkeit wird geleugnet, denn es gibt ja kein Problem. Kann funktionieren, wenn das Dementi auf starken argumentativen Füßen steht. Ein taktisches Dementi ist gut, um Zeit zu gewinnen. Langfristig zahlt sich das Dementi nicht aus, wenn an den Vorwürfen was dran ist. Auf die Peinlichkeit der Vorwürfe folgt die Peinlichkeit des Nicht-Wissens und der Falschbehauptung. Die Peinlichkeit steigert sich.

  1. Verkleinern und einkreisen

Der Verdacht wiegt schwer. Die Automobilindustrie hat gemeinsam mit Politik und Behörden ein Kartell des Schweigens gebildet. Auf Entscheiderebene wussten alle Bescheid, aber die offizielle Linie dient dem Schutz des bundesdeutschen Geschäftsmodells „Auto“. Das Problem mit der Software muss unbedingt verkleinert werden. Nicht das Top-Management wusste Bescheid, ein kleiner Kreis Eingeweihter hat eigenmächtig gehandelt. Am besten wäre es, man würde drei vier Sündenböcke finden. Mehr ist auch nicht gut, das geht auf die Glaubwürdigkeit. VW von innen heraus von einem kleinen Kreis Piraten gekapert? Das könnte passen im Peinlichkeitsmanagement. Nur stimmt das, wenn das Problem in anderen Unternehmen ebenfalls auftritt? Wurden alle Automobilhersteller von innen gekapert? Wirkt eher unglaubwürdig. Auch hier wird mehr Peinlichkeit produziert, denn weniger.

  1. Abwiegeln

Das Problem ist nicht gravierend und lösbar. Ein paar Rückrufe, ein Schräubchen gedreht, Software gelöscht und fertig ist die Laube. Wenn dem so ist, ist das für Kunden wunderbar. Aber so einfach ist es nicht. Dem Perfektionsanspruch der Ingenieure tritt die banale Wirklichkeit entgegen, denn es handelt sich ja um tiefsitzende strukturelle und technische Schwierigkeiten, mit denen da an vorderster Front gekämpft wird. Versprechen machen, die sich nicht einlösen lassen, erhöhen jedoch die Peinlichkeit nur.

  1. Peinlichkeit zugeben

Jetzt wird es etwas kompliziert. Man kann als Peinlichkeitsbetroffener auch sagen: „Ja ist so. Sehr peinlich für uns. Wir geben alles zu, entschuldigen uns und arbeiten intensiv an der Lösung, die wir noch nicht kennen.“ Das klingt erst einmal ok. Jedes Krisenfachbuch würde sagen, ein gutes und probates Mittel. Damit gibt man aber zu, dass man alles gewusst hat. Der Verdacht des Vorsatzes schwebt im Raum. Vorsatz heißt offensive Täuschung und Betrug. Die Rechtsabteilung jedoch interveniert und sagt, „Geht gar nicht!“. Die finanziellen Risiken wären unkalkulierbar hoch, „der finanzielle Schaden wird immens, das können wir auf keinen Fall tun“. Dieser Weg, Peinlichkeit zu begegnen ist also rechtlich versperrt. Klappt auch nicht richtig.

Was also tun? Das Dilemma ist mit Händen zu greifen. Es gibt keinen Best-Way der Kommunikation, der Karren sitzt richtig im Dreck. Die Peinlichkeit nonchalant zu übergehen, geht nicht. Sie mit einem kleinen Witz zu überspielen auch nicht. Die taktischen Instrumente wie Dementieren oder Verschweigen greifen ebenfalls nicht. Positive Anker der Kommunikation finden? Und so von den negativen Vorwürfen abzulenken und sie in den Hintergrund treten zu lassen? Könnte klappen, da muss jedoch kräftig nachgearbeitet werden. Denn einige Unternehmen auf dem Weltmarkt sind bei bezahlbarer Hybrid-Technologie, Wasserstoffautos und E-Mobilität schon deutlich weiter. Die Entwicklung bezahlbarer neuer Technologien wäre ein wirksames Mittel, geht aber leider nicht sehr schnell. Denn es würde einen echten Paradigmenwechsel in der deutschen Automobilindustrie bedeuten. Eine solche Zäsur wäre eine schöne Aufgabe für einen Masterplan der deutschen Autoindustrie. Dieser wäre angesichts der hohen Investitionskosten jedoch sehr teuer. Aber es wäre gut investiertes Geld, um den ramponierten Ruf wieder zu reparieren. Und Reparatur tut not. Reparatur macht Hoffnung. Reparatur ist eine Kernkompetenz von Autobauern.

Die Kommunikation der AfD

Es ist verrückt. Die Parteien sind auf der verzweifelten Suche nach Differenzierungsmerkmalen. Die CDU rückt nach links, die SPD in die Mitte. Die Grünen sind schon längst dort, die Linke will nicht rein, ist aber ebenfalls drin, und die FDP robbt sich gerade wieder in das begehrte Reich der Mitte. Alle kämpfen mit den Ähnlichkeiten der anderen. Da kommt plötzlich eine Partei aus dem Nichts und knallt mit einer Arschbombe mitten rein. Und nichts ist mehr wie vorher. Rechte Strömungen werden sichtbar, die vorher verdeckt gewesen sind. Wählerwanderungen in größerem Ausmaß entstehen. Nichtwähler werden wieder zu Wählern. Die Enttäuschten, Abgehängten und Frustrierten sammeln sich unter einem Dach – und noch mehr die Ängstlichen. Denn die AfD zahlt mit barer Münze. Und ihre Währung lautet Angst.

Die Partei bestätigt vorhandene Ängste, sie schürt neue, sie spielt mit ihnen. Die AfD ist eine Angstpartei. Angstkommunikation ist das große Ding. Angst vor Lesben und Schwulen, Angst vor Flüchtlingen und Fremden sowieso. Angst vor Veränderung, vor sozialem Abstieg. Angst vor Kontrollverlust, Auflösung der Gesellschaft und Identitätsverlust. Der deutsche Michel hat sein Zuhause gefunden. Liest man das Grundsatzprogramm der AfD, spürt man den Mief und die Spießigkeit der 1960er Jahre. Das war die Zeit, als das konservative Mindset der Republik Hippies ins KZ schicken wollte. Oder am besten gleich erschießen.

Die Angst des konservativen Milieus in Deutschland hatte immer eine aggressive Komponente. Lange glaubte man, diese Aggressivität hätte sich gelegt. Die Feindkultur wäre schwächer geworden, die Willkommenskultur hätte langsam an Terrain gewonnen. Deutschland sollte ein freundliches Land werden. Das Projekt ging lange gut. Das Land hat heute hohe Sympathiewerte weltweit. Deutschland ist attraktiv, für Touristen und für Menschen, die hier eine berufliche Zukunft suchen oder einfach nur Sicherheit. Und dann kommt eine Partei mit dem Ziel, diesen zaghaften gesellschaftlichen Konsens zu zerstören, die Bundesrepublik bis auf ihre konservativen Knochen hin zu entbeinen. Eine neue deutsche Identität muss her, die 68er sind Dreck und Müll, weg damit. Die AfD ist aggressiv, sie ist im Kampfmodus. Und sie macht einen sehr erfolgreichen Kampagnenjob. Die Medien berichten sich halbtot, die Medienpräsenz steigt und steigt. Das zieht Wähler an.

Was macht die AfD so erfolgreich? Die Rezeptur ist einfach. Sie sucht sich die Themen aus, die am meisten beschäftigen und Angst produzieren. Angst vor dem Euro-Crash, Angst vor Flüchtlingen. Jetzt kommt der Islam dran. Danach Europa oder die innere Sicherheit, wer weiß. Die AfD sattelt auf die Angst-Themen auf, spitzt sie zu, übertreibt, dramatisiert und verpackt ihre Antihaltung in Empörungsemotionen. Es wird kräftig angeheizt, aus Normalbürgern werden Wutbürger. Die Partei sucht sich aus dem jeweiligen Themenkreis ein zugkräftiges Symbol, gegen das gewettert wird. Illegaler Grenzübertritt – Schusswaffe raus, Minarettverbot, die Lösungen der AfD sind immer einfach. Ist das undurchsichtig, was die AfD da macht oder vom Zufall bestimmt? Nein, es ist eine simple Huckepack-Strategie. Der Parasit sucht sich seinen Wirt, gibt dem Thema noch den rechten AfD-Spin und raus damit. Pressemitteilung, Statement, Social Media, crossmedial werden alle Kanäle bespielt. Deutschland wird mit Angst versorgt.

Die Ansichten überschreiten die Grenzen des Grundgesetzes und des guten Geschmacks? Egal. Im Gegenteil, gut. Denn man ist wieder im Gespräch, die Interview- und Talkshow-Maschine mit Gauland, Petry und Co. läuft wie geschmiert. Die Medien wollen den entscheidenden Satz, der breit zitiert wird und gut is. Oder das entscheidende Bild. Höcke mit Deutschlandfähnchen über dem Arm? Darüber schreiben wir! Die Hetz-Aussagen werden von von AfD-Seite ein klein wenig relativiert und zurückgenommen. Bis wieder ein neuer Amokschütze aus der Deckung kommt, losballert, sich zurückzieht. „Getrennt marschieren, vereint schlagen.“ Königgrätz lässt grüßen, da hat jemand seinen Moltke genau gelesen. Die AfD sorgt für Abwechslung und ist immer für eine Überraschung gut. Zum Hucke-Pack kommt noch eine beherzte Prise Guerilla-Marketing, fertig ist das AfD-Kommunikationspaket.

Die Themen werden je nach Erregungskurve 3, 6 oder 9 Monate bespielt. Ist das Thema ausgelutscht, wird es fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Der Schweinezyklus beginnt von Neuem. Was daran besonders ist? Eigentlich nichts, bis auf die Tatsache, dass es so einfach funktioniert. Die Medienpräsenz von Pegida war schon unverhältnismäßig hoch, als sich 1.000 Leutchen in Dresden trafen und ihre Parolen skandierten. Jedes Medium meinte, dabei sein zu müssen. Selbst als die Parolen komplett verschlissen waren und sie schon zu den Ohren raushingen, wurden sie von Medien noch aufgegriffen. Newswert Null, aber das macht nichts. Woanders reicht es für eine kleine Meldung, aber nicht in Deutschland, wenn am rechten Rand was zuckt. Die AfD toppt das Ganze exponentiell. Sie macht aus dem Erfolgsrezept von Pegida ein Geschäftsmodell. Und das Geschäft mit der Provokation läuft rund.

Das Wählerpotenzial der AfD? Bis zu 25 Prozent wird geschätzt, manche sehen sie sogar darüber. Das reicht, um sich dauerhaft zu etablieren, wenn sie den Kampagnenmodus und die hohe Taktung bis 2017 beibehalten kann. Und das ist sehr wahrscheinlich. Noch sind sie weder das Volk, vielleicht an der Grenze zum Völkchen, mehr nicht. Aber das Anti-Campagning der AfD kann für mehr sorgen, wenn man sich in Europa umschaut. Die Mechanismen durchbrechen? Das wird kaum gelingen, dazu ist die PR- und Medienarbeit der AfD zu gut aufgestellt. Sie wissen, wie es geht, sie wissen wie Medien funktionieren, sie haben genug Akteure mit journalistischer Erfahrung in ihren Reihen. Und das Projekt eines neuen nationalen Aufbruchs ist langfristig angelegt. Die Leitstory, das Narrativ der AfD steht. Das schafft einen Orientierungsrahmen, der trägt, und der ausgefüllt werden will. Wiedererkennung ist gesichert bei gleichzeitig hoher Dynamik und Flexibilität in den Inhalten. Realpolitik braucht die AfD nicht, das Geschäftsmodell funktioniert sehr gut mit reiner Inszenierung. Der Resonanzboden reicht dafür locker aus, solange die AfD keine normale Partei wird, die sich in den Mühen der Ebene bewegen, sprich Tagesgeschäft betreiben muss. Die AfD kleidet sich als Diva – und lebt gut davon.

Warum die SPD am Boden liegt …

… weiß ich nicht. Als langjähriges Mitglied der Partei kann ich jedoch sagen, es schmerzt. Über Ursachen wird momentan sehr viel geschrieben und gesprochen. Angesichts von 20-prozentigen Umfrageergebnissen ist es notwendig, eine Debatte zu führen. Sehr viele kluge Köpfe machen sich intensiv Gedanken. Das Ursachengeflecht wird fein gesponnen und wieder auseinander genommen. Die Analysen ziehen den Bogen vom gesellschaftlichen Wandel über die Agenda-Politik, die nach links gerückte CDU, bis hin zum jetzigen Parteivorsitzenden, der als unstet wahrgenommen wird. Die Bandbreite der Themen zeigt, dass monokausale Begründungszusammenhänge nicht funktionieren.

Irgendwo liegt der Hase im Pfeffer und wahrscheinlich kommt alles zusammen, summiert sich auf und fügt sich zu einem gordischen Knoten zusammen, den zu zerschlagen noch schmerzhafter wäre. Kein Mensch wünscht sich Siechtum, aber die Alternative einer Nahtoderfahrung ist auch nicht besonders verlockend. Der SPD-nahe Politikberater und Werber Frank Stauss sieht das aktuelle Wählerpotenzial der SPD bei 30 Prozent. Das ist Best-Case. Die Formulierung eines Best-Case-Szenarios ist unter Akquise-Gesichtspunkten sinnvoll, denn der Bundestagswahlkampf rückt in Windeseile näher. Und damit auch die Verteilung der Wahlkampfbudgets. Da ist Mut und Zuversicht gefragt. Das Timing von Frank Stauss ist daher perfekt. Aber wo ein Best-Case, da auch ein Worst-Case. Wo liegt dieser? Bei 17 Prozent, bei 15? Ausgeschlossen ist das nicht. Vielleicht kommt es noch dicker.

Ich könnte jetzt in das Wortgeklingel einfallen und noch einen unbedeutenden Beitrag zur Analyse der aktuellen SPD-Situation verfassen. Ich könnte auch einen sehr persönlichen Storytelling-Beitrag schreiben, was mit mir in den vergangenen 20 Jahren in der SPD passiert ist. Was hat ihre Politik mit mir gemacht? Was ich mit ihr? Wo liegt meine eigene Schmerzgrenze? Dies auszuloten wäre als Selbsttherapie wahrscheinlich nicht schlecht. Aber nicht heute, nicht jetzt.

Ich versuche einfach mal aus beruflicher Sicht ein paar Punkte zu sammeln, die vielleicht helfen könnten – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ohne perfekte systematische Durchdringung. Dafür fehlt mir als Selbstständiger die Zeit und die Muße. Mist ertappt, da schleicht sich schon wieder was rein, was nicht reingehört. Weg damit, später.

In die Zielgruppe reinhören

Jede Partei hat eine Vorstellung davon, wie ihre Kernwähler aussehen und wo Wählerpotenziale stecken. Es gibt geeignete Analysedaten. Die Meinungsinstitute liefern täglich Stoff, schön verpackt in Diagramme und Powerpoint-Slides. Aus Algorithmen und Erhebungsdaten strategische Empfehlungen abzuleiten ist verlockend, bringt aber nicht immer den nötigen Erkenntniseffekt. Denn die Schwäche der Dateninterpretation liegt immer in der Verdichtung und Reduktion der Aussagen. Dementsprechend reduziert sind in vielen Fällen die Handlungsoptionen, die man sieht. Nuancen und Zwischentöne gehen verloren. Sie sind jedoch wichtig, vor allem, wenn man so extrem unter kritischer Beobachtung steht. Es kommt auf alles an, Pflicht und Kür müssen stimmen. Hier hilft nur der Gang ins Feld.

Sigmar Gabriel hat empfohlen, man müsse dorthin gehen, „wo es brodelt,  da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt.“ Mal angenommen, es würde an diesem Höllenort, der sich Basis und treue SPD-Wähler nennt, nicht nur gelegentlich stinken, sondern dauerhaft und richtig stark. Wären Mut und die Entschlossenheit auch noch da? Die SPD muss ihre Kernwähler neu entdecken. Das ist die Voraussetzung für eine programmatische und kommunikative Positionierung.

Und ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Die SPD muss ihre schrumpfenden Kernwähler, die Enttäuschten und verloren gegangenen Wähler wie echte Neuwähler behandeln. Viele sind einfach weg – auch emotional. Dauerhaft, nicht wenige wahrscheinlich für immer. Hier muss die SPD auf Entdeckungsreise gehen. Eine einfache Rückgewinnungsaktion reicht nicht aus. Da muss mehr kommen: an Bereitschaft, an Neugier und an Wunsch, die Menschen mit ihren Wünschen und Bedürfnissen kennenzulernen. Erst die richtigen Fragen ermöglichen Antworten, die die Partei wieder etwas nach vorne bringen. Wünsche und Forderungen aufnehmen, die Menschen ernst nehmen und mitnehmen. Die SPD hat kein Vermittlungsproblem. Das wäre nicht tief genug gebohrt.

 

Leitplanken und Koordinaten entwickeln

Leitplanken und Koordinaten sind wichtig zur Orientierung. Sie markieren die Grenzen, in denen sich die Vielfalt an Deutungen, Erwartungen und neugierigen Blicken auf Themen entfalten kann. Was keine Leitplanken und Koordinaten hat, zerfließt. Im Straßenverkehr sind Leitplanken akzeptierte Helfer, damit man nicht von der Fahrbahn abkommt und unfreiwillig gegen einen Baum knallt oder eine Böschung hinabrast. Koordinaten füllen den Raum zwischen den Leitplanken, zeigen die Richtung. Die SPD muss ihr Koordinatensystem neu entdecken. Damit die Wähler wissen, was von ihr zu halten ist, braucht sie selber eine Haltung. Ein klares Selbstverständnis, abgeleitet aus einem klaren Blick auf ihre Zielgruppen und deren Erwartungen an eine Politik der SPD.

Man kann es nicht allen recht machen. Aber gegenüber denen, die einem wichtig sind, sollte man schon etwas mehr zeigen, als das reine Bemühen. „Wofür steht die SPD, was soll ich von ihr halten, was kann und darf ich erwarten?“ Das muss neu verhandelt werden. Worum geht es der SPD? Fragt man sieben Genossen, erhält man vier verschiedene Antworten und drei Fragezeichen. Geht es im Kern einer sozialdemokratischen Partei um soziale Teilhabe, um soziale Verantwortung, soziale Fairness, soziale Sicherheit oder soziale Gerechtigkeit? Die Bandbreite möglicher Antworten ist groß. Die programmatischen Ableitungen, die sich daraus ergeben, jedoch vollkommen unterschiedlich. Die Mitglieder können es nicht genau benennen, wie soll es dann der Wähler?

Ich behaupte: Die berühmte „Mitte der Gesellschaft“ ist eine Ausrede für eine Partei, die sich nicht ordentlich mit ihren Freunden beschäftigen will. Irgendein Politiker sagte mal kurz vor seinem Abgang: „Ich liebe Euch doch alle.“ Mehr Hilflosigkeit lässt sich nicht ausdrücken. Die Person ist bekannt. Das Problem sind „alle“, die vielen, die künstliche Zuordnung dieser Vielen zu einer amorphen Mitte. Darf die SPD sagen „Ich liebe euch doch alle, die ihr in der Mitte seid?“ Hier ist Genauigkeit im Blick gefragt. Denn die Aussage bestimmt das Ausschlussverfahren, denn die „Anderen“, die vielen Anderen gehören nicht mehr dazu. Sie sind draußen, auch die Freunde darunter. Mit dem Zuhören richtet man die Kompassnadel aus und definiert das Kraftfeld. Mit den Leitplanken und Koordinaten werden die Richtungen bestimmt. Die Unterschiede zu anderen Parteien ergeben sich von selbst, wenn man auf seine Freunde hört.

Den Politikwechsel wagen

Jetzt kommt mal eine kleine Anekdote. Vor kurzem habe ich einen Workshop geleitet mit Entscheidern aus dem Arbeitsmarkt. Kein SPD-fernes Publikum. Irgendwann kam die Diskussion auf das Thema „Bedingungsloses Grundeinkommen“. Ich fragte, wer eigentlich dafür sei, wenn das Thema die Teilnehmer so beschäftigt. Von 25 Händen gingen 23 hoch, zwei waren unsicher. Die Kameralisten und Apparatschiks werden jetzt die Hände hochreißen und lautstark einwerfen „Geht gar nicht!“. Aber eine Partei, die so unter Vergangenheitsproblemen leidet wie die SPD, braucht neue Perspektiven und Angebote.

Ja, nicht nur Nachfrageorientierung ist wichtig, auch Angebotsorientierung – mit mutigen Angeboten. Das erzeugt Reibung, Hitze und einen Wechsel der Perspektive. Eine Partei, die halb gefallen ist, halb gezogen wurde in die Rolle eines sozialpolitischen Reparaturbetriebs muss mutige Zukunftsbilder entwerfen. Vielleicht braucht sie sogar Visionen, auch wenn diese bei vielen in der SPD unter generellem Arztverdacht stehen. Aber die Kernfragen lauten doch: „Warum sollte ich die SPD wählen, warum sollte ich in die SPD gehen?“ Wenn hier die Antwort lautet, nur die SPD wüsste, welche sozialpolitische Schraube wie weit nach vorne oder zurückgedreht werden darf, entwickelt weder Phantasie noch die Bereitschaft mitzumachen. Denn so eine Partei ist äußerst langweilig.

Verlässlichkeit bieten

Kaum eine Partei hat in den letzten 15 Jahren einen so radikalen programmatischen Change hingelegt, wie die SPD. Das hat der Partei nicht gut getan. Politische Akzeptanz lebt von Verlässlichkeit. Änderungen müssen vorbereitet werden, damit die Menschen folgen können und das Gesicht der Partei erhalten bleibt. Eine vielköpfige sozialdemokratische Hydra erzeugt Angst und Ablehnung. Wer ein Zukunftskonzept hat, das möglichst vielen Menschen – und nicht nur den Mitgliedern einer immer brüchiger werdenden vermeintlichen Mitte – hilft, in einem globalisierten Turbokapitalismus zu bestehen, muss mit seinen Angeboten zu überzeugen und in der Lage sein, Kurs halten.

Heute hüh und morgen hott machen sich gerade einem immer schneller werdenden Wirtschafts- und Mediengetriebe nicht gut, im Gegenteil: Sie verwässern alles und fressen alles auf, was noch an Restsubstanz da ist. Denn Wählerlinnen und Wähler können nicht folgen. Das Ziel der SPD muss sein, von einer sehr schlechten Ausgangsposition aus wieder Vertrauen zu gewinnen. Die Chancen sind da, mit Kontinuität und Verlässlichkeit Erkennungsmerkmale zu schaffen. Enttäuschungen abbauen, Wunden heilen. Mit Blick auf die vergangenen 15 Jahre bedeutet das, wieder das richtige Tempo für Veränderungen zu finden. Den Reformbegriff neu besetzen, keine Brachialreformen, von oben dirigiert für Menschen, die zu folgen haben. Dies ist nicht zeitgemäß, und vordemokratisch dazu. Das wird alles nicht von heute auf morgen gehen und 2017 kann nur eine Zwischenetappe sein.

Werte als Ausgangspunkt für Unternehmenserzählungen

„Hilfe, worüber sollen wir sprechen?“ Gerade junge Firmen tun sich oft schwer, ein schlagkräftiges und glaubwürdiges Narrativ für ihr Unternehmen zu finden. Organisations-Storytelling ist noch nicht im Bewusstsein der Macherinnen und Macher verankert. Die volle Konzentration liegt auf der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Dabei wollen Kunden, Mitarbeiter und Unternehmensumfeld von Anfang wissen, mit wem sie es zu tun haben. Ist das Unternehmen vertrauenswürdig? Was ist ihm wichtig? Auf welchem Wertefundament gründet es? Passen die Werte des Unternehmens zu meinen eigenen Werten? Und passt damit das Unternehmen zu mir? In vielen Storytelling-Ansätzen geht es vorrangig darum, sich eine interessante Produktgeschichte auszudenken. Oder man wirft einen Blick für die Köpfe dahinter und inszeniert eine spannende Start-up-Geschichte, denn Personalisierung der Kommunikation ist „in“, authentische Storys sowieso.

Aber reicht das aus? Mitarbeiter heute wollen etwas genauer wissen, was ihre Arbeit bedeutet und welchen Beitrag zur Gesellschaft sie als Beschäftigte eines Unternehmens leisten. Wenn jemand im eigenen persönlich Umfeld fragt, was das für eine Company ist, wäre es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz schön, etwas mehr zu sagen als oberflächliche Verkaufsphrasen, die keiner glaubt und kein Mensch verstehen will. Und auch die anspruchsvoller gewordenen Kunden hätten in vielen Fällen gern ausführlichere Informationen, die über das rein Praktische einer Anwendung hinausgehen. Ihre User Experience bezieht sich nicht nur auf Anwendungsfaktoren wie Bequemlichkeit, einfache Bedienung oder gute Qualität. Ihre Nutzererfahrung ist eingebettet in das eigene moralische Wertesystem. Wenn da etwas nicht zusammenpasst, die Aussagen – oder noch häufiger Nicht-Aussagen – ein ungutes Gefühl hinterlassen oder gar Dissonanz erzeugen, erschwert das nicht nur die Kaufanbahnung. Es drückt vor allem auf die längerfristige Bindung von Kunden.

Das heißt: Unternehmen brauchen eine gute „Werte-Story“, einen Deutungsrahmen, in dem die interessanten Gründungsgeschichten eingebettet sind. Sie geben den Einzelgeschichten Sinn, liefern die nötigen Erklärungen, Erläuterungen und Beweggründe. Sie vervollständigen die Einzelgeschichten und geben ihnen einen Zusammenhang. Und sie schaffen damit emotionale Sicherheit, ein positives Gefühl, das mit einem Unternehmen verbunden wird. Eine wichtige Voraussetzung, damit Branding – Markenbildung – überhaupt erst möglich wird. Das Erfolgsnarrativ einer Mega-Marke wie Apple liegt neben seinen innovativen Produkten vor allem im Understatement und der Haltung, die durch die Gründungs-Charismatiker an der Unternehmensspitze immer wieder öffentlich geäußert und thematisiert wurden. Apple hat von Anfang an gesagt und schriftlich fixiert, was ihm gegenüber Kunden, Mitarbeiter und Investoren wichtig ist. Dazu gehörte nicht zuletzt Integrität. Diese Werte-Story hat dem Unternehmen Dynamik, Glaubwürdigkeit und Akzeptanz gegeben. Davon zehrt Apple noch heute, obwohl sich das Geschäftsmodell stark gewandelt hat. In der Summe bedeutet das: Die Investition, dem eigenen Marketing und Unternehmenskommunikation einen ethischen Rahmen zu geben, hat sich voll ausgezahlt. Immaterielle Unternehmenswerte und materieller Unternehmenswert hängen eng zusammen und wirken langfristig, wie das Beispiel aus dem kalifornischen Cupertino zeigt.

PR-Beratung: Kluge Fragesteller gesucht

Rund 40.000 Fragen hat ein Kind bereits im zarten Alter von drei Jahren gestellt, so eine Untersuchung der Harvard Universität. Leider geht diese wichtige Fähigkeit mit zunehmenden Alter verloren. Thorsten Giersch widmet sich im Handelsblatt anschaulich und lustvoll der „Kunst des klugen Fragens“. Wer Innovation fördern und seine Neugier erhalten will, muss immer den Reset-Knopf parat haben und sein gewachsenes und gehärtetes Mindset auf Anfang stellen. Angeblich leben wir in einer entwickelten Feedback-Kultur, doch viele Mitarbeiter stöhnen in ihren Jahresgesprächen unter falsch gestellten Fragen, die entweder zu großspurig („Was sind Ihre Ziele in unserem Unternehmen?“) oder zu kleinteilig („Wie können wir diesen oder jenen Prozess verbessern?“) angelegt sind.

Auch in der PR-Beratung treten häufig Situationen auf, in denen von uns vorschnelle Antworten abverlangt werden. Nachdenkzeit? Fehlanzeige! Wer souverän wirken will, muss sofort und in Echtzeit die richtige Lösung bieten, denn Zeit ist Geld und Beratung ist teuer. Wer Informationen und Probleme zu langsam verarbeitet, verliert zudem sehr schnell seinen Expertenstatus. Denn ungeduldige Auftraggeber und Vorgesetzte erwarten immer häufiger, dass selbst komplexe Herausforderungen im Vorbeigehen gelöst werden und im Idealfall einfache Rezepte geliefert werden, die zeitnah und kostengünstig umgesetzt werden können.

Vor dem Hintergrund von Social Media wir in der PR-Diskussion seit einigen Jahren gebetsmühlenartig von einem gewandelten Selbstverständnis der PR-Leute gesprochen. Waren wir früher die fröhlichen Verkünder, sind wir heute die geduldigen Zuhörer. Wer mit der Geduld noch nicht soweit ist, wird das dann gerne auch als normativer Auftrag mit auf dem Weg gegeben. Übertragen wir die Kunst des Stellens kluger Fragen auf Beratungsprozesse, ergeben sich viele neue Möglichkeiten aus dem Dilemma zwischen hyperaktiver Markschreierei und hyperpassivem Wortgenuss rauszukommen. Denn oftmals führen sie nur in die Falle, entweder als Besserwisser oder als Leisetreter und Weichspüler aufzutreten.

Effektive Grundsatzfragen nach dem „Warum tun wir das eigentlich?“, oder „Gibt es Alternativen, die wir in Betracht ziehen müssen?“ helfen in der PR-Beratung, schwierige Situationen besser und sicherer zu bewältigen, weil Lösungen und Lösungsalternativen durchdacht werden können sowie Denkblockaden und Erfahrungsmuster eher durchbrochen werden. Letztlich ist es wie beim Handwerker, der mit seiner 20-jährigen Erfahrung wirbt. Doch hat er wirklich 20 Jahre lang neue Erfahrungen gesammelt oder hat 20 Jahre lang jedes Jahr dieselbe Erfahrung gemacht?

Klar ist, dass man nicht immer auf Gegenliebe stößt, wenn man zu viele kritische Fragen stellt. Aber vorschnelle Antworten ohne Fundament und Basis sind gerade in Krisensituationen noch riskanter. Das Gehirn ruht sich gerne aus und sucht Entlastung. Überlisten wir unsere bequemen Routinen durch kluge Fragen. Der Handelsblatt-Autor Thorsten Giersch nennt das Beispiel von Steve Jobs. Dieser sei ein Fan des buddhistischen Prinzips des „Shoshin“ gewesen, des „Geist des Anfängers“, der in der Lage ist, fundamentale Fragen zu stellen. Gerade wir gestressten PR-Leute müssten regelmäßig die nötige Muße suchen, um Inspiration für diese klugen Fragen zu erhalten.