Das Tagesmedium Tageszeitung ist tot

Die Frankfurter Rundschau stirbt oder ist schon gestorben, so genau weiß man das nicht. Vielleicht findet sich noch ein Investor, der bereit ist, aus der früheren journalistischen Hochburg der Frankfurter Schule wieder ein echtes journalistisches Produkt zu machen. Viele drücken die Daumen, dass es klappt, anderen ist es völlig egal und manche freuen sich, dass ein Konkurrent weniger auf dem Markt sein wird. Ich habe kein wirtschaftliches Interesse an der FR – woher auch – und das Leserinteresse hält sich auch in Grenzen. In meinen Marburger WG-Zeiten der späten 80er war die FR noch Leitmedium, wenigstens für Hessen. Als ich 1990 nach Berlin aufbrach, war es damit schnell vorbei. Die FR wurde abgelöst durch die Berliner Zeitung. Und wenn ich heute mit der Berliner Zeitung im Gepäck nach Frankfurt aufbreche und dort in meiner alten FR blättere, lese ich gleiche Berichte und Kommentare. Das ist nicht nur grotesk, im Grunde ist es schlicht langweilig. Und ich stelle fest: Ich habe keine Bindung mehr an die FR.

Die Krise der Tageszeitung ist auch meine eigene Zeitungskrise. Vielleicht gehöre ich zur letzten Generation, die informativ durch  Print geprägt wurde und ich lese wirklich gerne. Ich stelle aber fest, dass sich mein Leseverhalten in den vergangen fünf Jahren deutlich verändert hat. Ich lese nicht mehr intensiv, ich scanne die Zeitungen nur noch. Das hat vielleicht mit meinem Job als PR-Mensch zu tun. Viel deutlicher höre ich eine Stimme der Enttäuschung in mir, wenn ich heute eine Tageszeitung aufschlage. Ich schaue mir die Autorenkürzel unter den Beiträgen an und sehe nur noch Agenturkürzel à la dpa und dapd. Vielen Beiträgen merkt man an, dass dort ein Journi vor der Klapperkiste gesessen hat und aus verschiedenen Meldungen etwas zusammengeschnipselt hat. Vielleicht hat er sich noch die Mühe gemacht, ein Zitat einzuholen. Zum Dank für diese Bildschirmarbeit darf er hinter die Agenturkürzel noch sein Namenskürzel setzen. Manchmal zähle ich zum Spaß mal durch und komme auf 80 Prozent agenturbasierter Berichterstattung, manchmal sogar noch mehr. Die Folgen des Ähnlichkeitswettbewerbs der Medien sind unvermeidlich. Vergleicht man verschiedene Tageszeitungen, bekommt man überall denselben Sermon serviert. Und je nach Mediengattung, z.B. Boulevard- versus klassische Abozeitung, noch eine unterschiedliche Prise Emotionen als kostenlose Garnitur hinzu. Aber auch das setzt schon lange keine Kaufanreize mehr.

Um nicht völlig aus dem Nachrichtenfluss auszusteigen und nur noch über Google die wichtigsten Top-News zu ziehen, betreibe ich gerne analoges Content-Sharing, beispielsweise im Café. Dort liegen ein oder zwei Zeitungen aus und über den Tag hinweg finden sich dann doch etliche Leser für ein Medium zusammen. Damit können die Medien Geld verdienen, wenn sie bei der Ansprache der Werbekunden nicht mehr über die verkaufte Auflage gehen, sondern über die Reichweite. Die Zeitung mit den vier Buchstaben praktiziert das schon seit längerem und hält sich so trotz sinkender Auflage. Wobei man ehrlich sagen muss, dass über die Line-Extensions wie Auto- oder Sportbild und angeschlossenen Shop- und Affiliate-Systeme noch etwas mehr Geld verdient wird. Dieser aufwändige Weg verlangt eine klare Markenbildung und einen langen Atem, den nicht jeder Verleger hat oder als Shareholder besonders gerne bereitstellt.

Ich will mich nicht über digitale Erlösmodelle auslassen. Die Diskussion läuft und da wird in den kommenden Jahren noch viel passieren. Das Hamburger Abendblatt probiert es mit der Geldschranke am Vordereingang und dem kostenfreien Google-Zugang über die Rückpforte. Richtig glaubwürdig und durchdacht wirkt das nicht. Und auch die vielgelobte FR-App konnte das Elend nicht verhindern. Als Rezipient sehe ich den Print-Tagesjournalismus gefordert, sich jenseits des ganzen Meldungsbreis der Nachrichtenagenturen wieder attraktiv für Leser zu machen und den Leser neu zu entdecken. Die NewYork-Times begleitete das dritte TV-Duell zwischen Obama und Romney mit einem hervorragenden Faktencheck, der die Aussagen der Kombattanten live auf den Prüfstand stellte. Zudem wurden die Aussagen in Echtzeit schriftlich transkribiert und so der Kreislauf zwischen TV, Print und Online geschlossen. Mit klarem Nutzen für den Leser. Er konnte die vollständigen Aussagen bequem nachlesen und zeitgleich durch die hervorragende Arbeit der Redaktion zeitnah überprüfen lassen.

Um eine durchschnittliche Tageszeitung durchzublättern brauche ich im Schnitt 15-20 Minuten. Damit ich für diese Kurzzeit-Vergnügen Geld ausgeben soll, brauche ich Argumente jenseits der reinen Informationsvermittlung, denn die wichtigen News sind heute überall verfügbar – kostenfrei und schneller. Die Zeitungsmacher kennen das Rezept, auf das es ankommt: starke Meinungen, pointierte Kommentare, lebendige Interviews, gut recherchierte Hintergrundberichte und Analysen. So paradox das klingt: Die Tageszeitung muss sich von Tagesinformationen verabschieden und die Redakteure die Chance erhalten, jenseits ihrer Newsrooms wieder ihrem Beruf nachzugehen. Wer auf der Suche ist nach der anderen Seite des Journalismus empfehle ich die Nachdenkseiten. Die Beiträge und Autoren dort sind nicht GEZ- oder werbefinanziert, sondern durch Spenden der Leser. Sinnvoll angelegtes Geld wie ich meine, für das man tatsächlich auch noch etwas erfährt – und in diesem Sinne bester Journalismus.